Tara Shea Nesbit. Was wir nicht wussten.

Mittlerweile ist es Dezember und die Lesezeiten werden wieder länger. Gemütlich bei Tee und leichter Musik oder ganz still … gute Literatur genießen.

Rückblickend bin erstaunt, dass ich das Buch nicht sofort gelesen habe. Es hat mich sehr bewegt und für mich ist es unter den 5 besten Büchern des Jahres.

Zuerst bekam ich nur einen Ausschnitt von wenigen Zeilen zu lesen. Ich war skeptisch. Bekam dann aber das Buch zugesandt und legte es erstmal auf meinen Schreibtisch. Nach einigen Tagen packte mich dann doch die Neugier. Über diese bin ich sehr dankbar. Es war ein unglaublich tolles hochwertiges Lesevergnügen.

„Was wir nicht wussten“ ist ein Buch aus Sicht der Frauen, die ihre Männer für das Manhattan Projekt begleiteten. Durch diese Sichtwiese allein deshalb schon sehr interessant. Der Bau der Atombombe, der eigentlich ungesagt ist und bleibt. Jede Seite fesselt und animiert dazu, das Buch nicht aus der Hand zu legen.

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Es sind Frauen mit ihren Männern, eignen Kindern, den Wunsch nach Kindern, einem normalen Alltag, ein Haus, eine schöne Wohnung. Eigentlich ist Normalität eingekehrt. Doch diese wird unterbrochen, als die Männer nach Hause kehren und verkünden, dass sie umziehen. Für einen Job und eigentlich sei dort vieles möglich. Es gibt viele Fragen, aber keine Antworten. Alles ist geheim. Die Sachen werden gepackt. Verabschiedungen, die eigentlich zu kurz sind, kommen hinzu. Letzte Bilder, letzte Eindrücke und Gedanken, viele Fragen sind plötzlich auf einer Zugfahrt mit weiteren Familien aus anderen Ländern.
Gedränge, schreiende Kinder begleiten eine lange Fahrt nach New Mexico. Die Unsicherheit und die vielen Fragen sind nicht nur lesbar, sondern auch spürbar.
Es ist wie mitreisen, aber ganz vorsichtig. Nur um mehr zu erfahren oder zu wissen. Also weiterlesen. Unaufhörlich.

Das Ankommen nach der langen Zugfahrt ist eine Abfertigung, Fotos, Fingerabdrücke und dann schon recht bald die brutale Ernüchterung des Nichts. Denn nichts ist, wie es sein sollte, oder in guten Vorstellungen war. Es fehlt an vielem und die Männer, von der Arbeit fast nahezu gedemütigt, verlieren ihr Gesicht. Die Ausstrahlung muss weichen. An ihrer Stelle kommen Bartstoppeln und verdeckte Gesichter.
In jeder Zeile denke ich, wenn ihr es wisst, was ihr tut, es etwa spürt, „dann lauft doch.“ Ich möchte die Männer schütteln und sagen. „Tut dies nicht.“

Doch all dies ist schon längst geschehen.
Der damalige Alltag ist eine schöne Erinnerung, die nun nicht mal einen Sonnenplatz für Wäsche hat, aber eine Glocke, die stets den tristen Tag mit einem unüberhörbaren Läuten untermalt und zur Arbeit ermahnt. Am Tag, am Abend, wenn es brennt, wenn kein Wasser mehr da ist. Sie läuten immer. Ein Geräusch, welches selbst beim Lesen dieser Zeilen schon in den Ohren weh tut.
Die Frauen leben mit ihren Familien und wachsen zusammen. Reden, bekommen Kinder, vermissen ihr Zuhause. Verlieren zu wissen, wie es ist das Meer zu riechen oder die Verwandtschaft, die fortblieb, herzigen zu können.
All das ist lesend so nach zu empfinden. Richtig nach zu fühlen. Ein Gefühl, dass nicht gut ist. Jeder möchte immer Klarheit und ein Zuhause, dass wirklich eines ist und kein Abschnitt zur offenen Welt.

Eines Tages gibt es auf dem von ihnen bewohnten, mit Stacheldraht umgebenen Gebiet einen lauten Knall. Einen Knall, der zu einer Explosion gehört.
Zu den vielen Fragen kommen langsam Antworten, die niemand wirklich wollte. Die Wahrheit trägt einen schmutzigen Schleier und in der Zeit des Zweiten Weltkrieges wird die erste Atombombe gebaut.

Im August 1945 fiel diese Bombe auf Hiroshima und die Frauen blicken auf Bildschirme, schalten das Radio an, besuchen sich gegenseitig. Unzählige Menschen wurden getötet und doch geht ein Gedanke durch die Köpfe der Frauen, dass alles endlich vorbei sein könnte. Er zeigt die Vielschichtigkeit der Dinge. Viele Leben gingen und doch geht Hoffnung in den Köpfen der Frauen um. Doch es kehrt auch die Einsicht über die Abscheulichkeit dieser Tat ein und damit weitere Fragen. All dies zu lesen macht fassungslos und es gibt einen Einblick, dass zu jeder schrecklichen, so grausamen Tat auch Menschen gehören, die dies umsetzen und ihr Leben einer zerstörerischen Explosion gleicht, wenn auch bedeutsam kleiner als die Atombombe.

Ein Buch schonungsloses, gedankenreiches Buch. Es  zeigt etwas sehr Geschichtsträchtiges aus der Sicht der Frauen. Oft war ich einfach nur schockiert, dann wieder gerührt und am Ende fast sprachlos mit dem Gedanken, dass diese Frauen dann hoffentlich mit all ihren Zweifeln, Fragen, Wünschen, mit ihren Männern, Kindern, Familien, ein leichteres Leben hatten. Dieses Buch sollte nie in Vergessenheit geraten und wird hoffentlich unendlich zahlreich gelesen. Ich finde es ist ein so wichtiges lesenswertes Buch, dass es Literaturpreise verdient hätte.

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Tara Shea Nesbit. Was wir nicht wussten. DuMont Buchverlag. 256 S. 19.99 €

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