„Ich glaube nicht, dass Diskriminierung und Ausgrenzung die richtige Antwort sind. Denn wenn man das Licht ausmacht, sind alle schwarz. Johnson Blay S.218
Norbert Kron schrieb mit „Ein Zuhause in der Fremde“ ein Buch, dass von der Bialik-Rogozin-Schule in Tel Aviv und der Unesco-Schule in Essen handelt. Beide sind Partnerschulen und besuchten sich gegenseitig. Als die Unesco Schule in Tel Aviv ist, gibt es ein buntes Treiben und bemalte Gesichter. Aber schnell ist beiden Schulen bzw. den Schülern klar, dass sie gar nicht unterschiedlich sind. Sie freunden sich an. Alle haben ein ähnliches Schicksal. All das verbindet, schweißt zusammen. Alle sind wie Geschwister.
Norbert Kron reiste nicht nur einfach mit. Er ist mittendrin und schon zu Beginn des Buches hinterfragt er. Bedeutet Integration Assimilation? Müssen Einwanderer die Indentität des Landes annehmen oder zeichnet sich eine offene Gesellschaft gerade durch ihr multikulturelles Klima aus? Genau, das packt mich. Norbert Kron schreibt nicht einfach etwas nieder. Er ist eines der recht wenigen Autoren, die genau hinterfragen, hinsehen, nachdenken. Etwas, das ich sehr schätze, da die Oberflächlichkeit vielen Menschen leider meist mehr liegt.
Ein Gedankensprung. Ich bin in der Fremde oft mehr Zuhause als in Berlin. Aber ich genieße Urlaub, arbeite etwas, schaue mir das wahre Leben der Länder an. Nie musste ich fliehen. Das Buch begleitete mich in Deutschland, in England , Östereich und Frankreich. Nun liegt es vor mir. Ich las es mehrmals. Über Paris dämmert es gerade. Ich schaue über die Stadt, die so vielfältig ist. Viele Menschen und unterschiedliche Nationen. Die Besitzer meines Lieblingscafé`s kommen aus Israel. Sie verloren Menschen bei dem Anschlag am 13. November 2015. Die Nachbarn kommen aus Afrika. Schräg gegenüber lebt ein Professor aus Italien, der jeden Tag zur gleichen Zeit mit seinem Hund aus dem Fenster sieht und Zeitung liest. Es ist so herrlich bunt. Genau das gibt mir Heimat. All diese Menschen haben eine Geschichte. Wir alle haben das. Nur oft hören wir uns andere Geschichten nicht an. Wir schauen auf die Welt, reisen selbstverständlich in ferne Länder. Das Wort Flucht und Integration lesen wir meistens nur. Aber deren genaue Bedeutung haben wir am eigenen Leib nicht erfahren. Es geht nur durch Geschichten. Wie schaffen wir ein Zuhause für Menschen, die fliehen mussten? Oft stelle ich mir die Frage. Wenn ich weiterdenke, denke ich, dass wir uns alle diese Fragen stellen und uns Geschichten erzählen lassen sollten.
Norbert Kron hat sich viele Geschichten erzählen lassen und sie festgehalten. Da ist zuerst die von Eli Nechama, der Schauspieler war und nun Schulleiter der Bialik-Rogozin-Schule in Tel Aviv ist. Er tut dies voller Leidenschaft und ganzem Herzen. Als Schulleiter ist er beliebt. Vor dem Beginn des Unterrichts wird er umarmt, zahlreich schüttelt man ihm die Hände. Alle lachen. Etwas, das in Deutschland nicht geschieht. Der Schulleiter ist meist in seinem Büro hinter einer Tür, die nur ungern geöffnet wird.
Berhe Gonetse geht auf die Schule, die weltweit ein Vorbild für Integration ist. Er hat eine Entführung erlebt. Norbert Kron spricht auch über die Schattenseiten. Schonungslos wird über die brachiale Gewalt beim Menschenhandel gesprochen oder über Traumata der Kinder. Aussprechen anstatt zu verschleiern. Die Wahrheit ist jedem zumutbar.
Johnson Blay ist auch ein Schüler so einer besonderen Schule. Er hat seine Familie schon vor Ewigkeiten verloren. Er weiß nicht, wo er sich so richtig Zuhause fühlen soll. Einen Pass hat er nicht. Aber er erinnert sich noch an die Schreie der Mutter als sie getötet wurde. Er ist 3 Jahre als er mit seinen älteren Brüdern Richtung Ghana flieht. Er wird während der Reisen zu einem Redner, der berührt.
Michelle Combi steht kurz vor ihrem Abitur. Sie hatte Angst um ihren Vater, der verhaftet wurde. Die Eltern, sind geschieden. Heute ist ihr davon nichts mehr anzumerken.
Es gibt noch weitere Geschichten und jede zeigt, dass Menschlichkeit zu Zufriedenheit oder etwas Glück führen kann.
In der Bialik-Rogozin-Schule ist alles anders. Die Lehrer7innen werden zu Freunden und haben Spaß an der Arbeit, setzen sich ein. Die Hauptfächer werden zur Nebensache . Kunst, Musik, das Reden, das gemeinsame Lachen, schaffen mehr Verbundenheit. Mehr Verbundenheit in der es egal ist, welche Hautfarbe oder Nationalität jemand hat. Ein Schule kann eben mehr sein als nur stupider Unterricht.
Noch ein Gedankensprung. Zeit ist vergangen und endlich bin ich einmal in Tel Aviv. Ich spüre, wie in dem Buch Herzlichkeit. Herzlichkeit und man fühlt sich so willkommen. Etwas das in Berlin, Deutschland oft fehlt. Ein schönes Land. Mir kommt es hier offener und freier vor als in Berlin. Mich wundert es nicht, dass die beste Schule für Integration in Tel Aviv ist. Mein Apartment ist mit Blick auf das Meer. Wenn ich runter gehe, sind es nur wenige Meter zum Strand. Uns/mir fehlt es an nichts. Für mich nicht selbstverständlich. Denn ich weiß, dass die Welt auch hier in Israel Schatten hat. Auch diese Reise ist nicht nur dazu da, um zu tanzen, tauchen zu gehen, Urlaub zu machen. Ich will auch durch das Buch alles sehen. Nicht nur die heile Welt. Die heile Welt- Schon gegen Morgen sammeln sich Champagnerschlürfer am Strand vor dem Hotel auf den Sitzgelegenheiten. Sie trinken, obwohl es widerlich schmeckt. Die Champagnerschlürfer lassen den Champagner die Kehle runter laufen ohne vor Scham zu erbrechen. Sie bewegen sich nicht viel raus. Die Wahrheit wollen sie nicht sehen. Eine Flasche Champagner bzw. das Geld dafür würde ein armes Kind und seine Familie länger helfen. Für mich ist das in Wolken leben, obwohl der Boden da ist. Leben und Tel Aviv ist viel mehr als das.
Reichtum muss man nicht zeigen, sondern damit Gutes tun. Eines meiner Grundsätze. Tel Aviv ist wundervoll. Aber es gibt wie überall Schattenseiten. In Tel Aviv-Jaffa leben Menschen auf der Straße. Auch in dem Buch „Ein Zuhause in der Fremde von Norbert Kron wird dies geschildert. Die Armut ist wesentlich höher als in Deutschland. Diese Menschen leben am Rand. Jeder Fünfte ist arm. Viele Menschen liegen irgendwo, betteln. Schon in Flüchtlingsheimen in Berlin sieht man das Leid der Menschen. Flüchtlinge haben es in Israel sehr schwer und leben meist noch viel unwürdiger als hier. Umso wichtiger ist eine Schule wie die von Eli Nechama, die alle gleich und menschenwürdig und achtsam behandelt. Die Anzahl der Kinder, die in Israel Not erleiden, liegt bei 32 Prozent. Israel gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Kinder haben wenig und ihre Blicke sind traurig, obwohl sie lachen. Ich sehe in Israel Kinder, die nichts haben. Sie tragen Fetzen. Man kann manche Behausungen nicht einmal als Hütte bezeichnen. Manche Gebäude sind zwar Häuser, aber sie sind zerfallen. Kinder spielen mit einer alten Dose Fussball. Der Sand ist trocken und manche Lippen, sind aufgesprungen. Hier genau hier ist das echte Leben. Sie lachen trotzdem und sind fröhlich. Für sie ist die Armut selbstverständlich, sie sind mit wenig zufrieden, während für andere Menschen (nicht alle) das Leben in Reichtum selbstverständlich ist und sie nie genug bekommen. Absolut konträr.
Ich stelle mir die Frage, ob diese spielenden Kinder jemals zur Schule gehen und bin daher noch mehr erleichtert, dass es Menschen, wie Eli Nechama gibt, die diesen Kindern etwas geben, was jeder benötigt. Die Schule wird ein Zuhause und schafft Sicherheit. Sicherheit, die sie draußen, in Armut mit einem wackelnden Dach nicht haben. Die Schule ist ein Ausgleich, wird zu einer Familie, die gewiss zahlreiche Kinder und Erwachsene durchatmen lässt. 1300 Schüler besuchen die Bialik-Rogozin-Schule. Um 7.30 Uhr wird sie geöffnet und bis 19.30 Uhr dürfen die Kinder bleiben, erhalten etwas zu essen. Eli Nechama und die Lehrer/innen der Schule, sind Held/innen. Ich habe das Glück Eli Nechama bei einer Veranstaltung zu sehen. Er erzählt und erzählt und irgendwie möchte man nicht, dass er aufhört. Er ist ein Geschichtenerzähler mit einem Herzen, das randvoll mit Wärme ist. Es ist so wundervoll einmal den Autor mit seinem Protagonisten zu sehen. Norbert Kron und Eli Nechama auch hier
„Ich bin jede Nacht so erschöpft, dass ich in Ruhestand gehen will, und verliebe mich jeden Morgen von Neuem in die Schule. S.41
Es geht darum >>aufgeschlossen zu sein und sich anständig zu verhalten. Mit einem Wort: Es geht darum, ein Mensch zu sein. Das ist ein Wort, das wir zuhause immer gehört haben: Sei ein Mensch! Es spielt keine Rolle, was Du bist oder tust : Hab Würde und Respekt! Sei höflich und denk nicht immer an dich selbst, Te hié ben´adam: Sei ein Mensch. Eli Nechama S.44
Trotz diverser Schicksale gibt dieses Buch Hoffnung, schafft Beruhigung, weil es Möglichkeiten gibt Menschen glücklich zu machen. Nicht nur auf den vielen Bildern in dem Buch, sondern auch durch die Zeilen, ist es als würde man Kinderlachen hören. Norbert Kron schrieb nicht nur die Ereignisse und Geschichten vieler auf. Was jede Seite noch zusätzlich besonders macht, ist das er mit einer unglaublichen Leidenschaft, Empathie, Wortkraft, Verständnis, aber auch Schonlosigkeit schreibt. Nichts ist beim Schreiben wertvoller als jene 5 Sachen.
Das Buch und die Bialik-Rogozin-Schule schaffen Hoffnung, das Vorurteile gegenüber Flüchtlinge beseitigt werden können und Integration möglich ist. Es bringt zum Nachdenken, kurz Anhalten und hoffentlich zum Umdenken vieler Menschen, die mit Hass, Worte über ihre Lippen laufen lassen. Möge das Buch sehr erfolgreich sein und durch unzählige Hände und lesendes Augen gehen und mehr Bewusstsein schaffen, das eine gemeinsame, bunte Welt gar nicht schwer ist. Wir müssen mit Herzlichkeit handeln, hinsehen, uns nur gegenseitig nur annehmen, tanzen, Musik machen, reden, gemeinsam spielen und ganz wichtig-Wir müssen gemeinsam lachen.
Das Buch „Ein Zuhause in der Fremde“ ist nicht nur ein Buch, das Geschichten von zwei Schulen und Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erzählt, die fliehen mussten, helfen zu integrieren oder ein Zuhause für andere schaffen. Es ist auch ein Buch, dass durch die Geschichten, Ideen und das Hinterfragen von Norbert Kron eine gute Auseinandersetzung mit der Thematik Integration an Schulen und was möglich ist oder auch woanders fehlt, liefert. Dies tut er ohne anzuklagen und genau das schafft Offenheit für das Buch, denke ich. Gerade auch für Lehrer/innen. Das Buch gibt Antworten und ist vor allem eines der besten und aktuellsten Beispiele dafür, das Integration machbar ist und eben keine Assimilation bedeutet. Es kann etwas ändern und lehren. Alles ist möglich, wenn wir es mit Leidenschaft, ganzem Herzen und einem Lachen tun. Multikulturell leben, sollte längst alltäglich sein.
Am Ende des Buches gibt es 12 Thesen, die zusammenfassen, was sich an deutschen Schulen ändern muss. Eigentlich sollten sind sie logisch und sollten selbstverständlich sein. Aber leider ist dies nicht so. damit sind die Thesen so passend, so nötig und ja, sie alle sind umsetzbar. Ich finde, sie sind keine Illusion oder eine fixe Idee, sondern Antworten auf all die Fragen guter Integrationen und sollten längst zum Lehrplan in Deutschland und der Welt gehören.
Für mich persönlich ist dieses Buch pures Herzlachen mit gelegentlichen Freudensprüngen. Ich bin mit jeder Zeile mitgereist und spürte die Freude, die Warmherzigkeit, die Nachdenklichkeit. Norbert Kron schaffte ein Buch voller Menschlichkeit, Hoffnung, Verbundenheit und Möglichkeiten eines gemeinsamen Lebens, das bunt und fröhlich ist. Möge es viel bewegen. Aber am meisten spürte ich beim Lesen des Buches „Ein Zuhause in der Fremde“, dass es keine Unterschiede gibt. Wir alle können gemeinsam lachen, weinen, gemeinsam tanzen. Die Fremde kann wirklich ein Zuhause werden oder sein. Es muss dennoch viel geschehen. Aber wir müssen auch wissen: Nur wir selbst schaffen Unterschiede in einer Welt, die schon immer gemeinsam funktionierte und schon immer bunt war.
Die 12 Thesen:
1. Eine Schule für Einwandererkinder muss mehr als eine Schule sein: ein echtes Zuhause in der Fremde.
2. Jedes Kind besitzt eine individuelle Exzellenz, deren Förderung genauso wichtig ist wie der Schulabschluss.
3. Kulturelle und musische Unterrichtselemente wie Tanz, Show, Musik – aber auch Sport – helfen bei der Integration mehr als klassischer Unterricht.
4. Die Schule muss den Kindern klare Regeln vermitteln, die die Grundwerte und Verhaltensstandards der deutschen Gesellschaft widerspiegeln.
5. Alle Schüler müssen in fortgeschrittenem Alter eine Holocaust-Gedenkstätte besuchen.
6. Die Lehrer müssen Einwandererkindern eine stärkere emotionale Identifikation mit Deutschland ermöglichen.
7. Auch die Eltern sollen an den Schulen Sprach- und Wertebildungsangebote erhalten.
8. Die Lehrer sollen den Kindern die kulturellen Wurzeln ihrer Herkunftsländer vermitteln und selbst Grundkenntnisse ihrer Sprachen erwerben.
9. Ehrenamtliche Helfer und private Geldgeber müssen viel stärker in die Arbeit der Schulen mit einbezogen werden.
10. Die Heterogenität der Schülerklientel, die von Seiten der Politik garantiert werden muss, ist das A und O für Integrationsarbeit.
11. Schulen sollen sich mit den Leistungen ihrer Einwandererkinder viel selbstbewusster in der Öffentlichkeit zeigen.
12. Hinter allem steht das Prinzip: „Sei ein Mensch. Ein Mensch zu sein ist wichtiger als Mathematik.“ (Eli Nechama)
Norbert Kron | Ein Zuhause in der Fremde | Was wir in Deutschland von der besten Schule für Einwanderer lernen können | Gütersloher Verlagshaus | 27.03.2017 | ISBN: 978-3-579-08673-6 | 19.99 €